Extremhochwasser nimmt zu - Wie handeln?

09. Aug 2021



Das vom HKC veröffentlichte Statement zur Zunahme von Extremhochwassern steht unter diesem Link zum Download als PDF bereit.

HochwasserKompetenzCentrum e.V.

Mariele Evers, Georg Johann, Oliver Buchholz, Olaf Burghoff, Michael Czernetzki, Thomas Hartmann, Roland Kaiser, Thomas Kahlix, Alexander Küsel, Jutta Lenz, Reinhard Nieberg, Christian Pohl, Andreas Schlenkhoff, Holger Schüttrumpf, Nicolas Vallender, Reinhardt Vogt, Mingyi Wang, Marlene Willkomm

 

Die Hochwasserereignisse vom 13.-15. Juli führen uns die Relevanz von Hochwasser­prävention akut und erneut wieder vor Augen. Die Natur hält mit der Erhitzung der Erd­atmosphäre immer mehr und intensivere Ereignisse für uns bereit, die unsere Hochwasser-Schutzmaßnahmen an ihre Grenzen und darüber hinaus führen. In Deutschland und in der Europäischen Union wurden in den letzten 15 Jahren mit der Implementierung der europäi­schen Hochwasserrisikomanagement-Richtlinie und den Novellierungen des Wasserhaus­haltsgesetzes die Rahmenbedingungen für das Hochwasserrisikomanagement verbessert. Instrumente wie Hochwassergefahrenkarten oder verschärfte Bauvorschriften wurden einge­führt. Jedoch bedarf es für ein wirkungsvolles und nachhaltiges Hochwasser- und Stark­regenrisikomanagement noch zahlreicher Verbesserungen.

Nun stellt sich die Frage, welches sind die zentrale Handlungsfelder, um uns an die neue Wirklich­keit mit mehr Wetterextremen anzupassen?

Das HochwasserKompetenzCentrum (HKC) ist ein gemeinnütziger Verein, der Bürgerver­eine und -initiativen, Kommunen, Politik, Wissenschaft und Wirtschaft zu einem einzigartigen Netzwerk zusammenführt. Durch den kontinuierlichen Dialog und gezielte Maßnahmen fördert die Arbeit des HKC die Starkregen- und Hochwasservorsorge und die Sensibilisierung sowohl der Zivil­gesellschaft als auch die Träger*innen öffentlicher Belange.

Dies sind unsere Impulse, deren Realisierung wir für besonders erforderlich halten:

1. Risikokommunikation

Die zahlreichen Todesopfer und enormen Schäden zeigen, dass viele Menschen sich bisher noch nicht aktiv mit dem Überflutungsrisiko auseinandergesetzt haben und sie ein Starkregenereignis somit unvorbereitet und uninformiert trifft. Die bereits bestehenden Risikokommunikationsangebote gehen dann leider an ihnen vorbei.

Das gilt nicht nur bei einer akuten Warnlage, sondern auch für das alltägliche Leben. Die kommunizierten Hochwasser- und Starkregengefahrenkarten werden leider nur von einer kleinen Anzahl von Menschen genutzt und verstanden oder erst gar nicht wahrgenommen. Erst wenn verstanden wird, dass eine Überflutungsgefahr existiert und diese richtig bewertet werden kann, können von den Menschen adäquate und wirkungsvolle Vorsorgemaßnahmen getroffen werden. Nur durch eine Kultur der Risiko-Kommunikation können sich Menschen vor, während und nach einer Überflutung richtig verhalten.

 

Handlungsfelder:

  • Risiko-Sensibilisierung der Bürger*innen für Starkregenereignisse, die potenziell überall auftreten können. Kampagnen zur Starkregen- und Hochwasserinformation, zur Aktivierung der Eigenvor­sorge - damit Menschen über den Stellenwert der Überflutungsgefahr wissen, und Informationsquellen kennen (z. B. https://bonn-unter.de/)
  • Risikoinformationen bereitstellen, die schon bei einer Wohnortwahl oder Umzug eine Rolle spielen sollten

 

2. Frühwarnung und Alarmpläne

Das Extremereignis vom Juli 2021 hat gezeigt, dass trotz meteorologischer Warnungen vor Starkregen vor Ort zu spät oder gar nicht gehandelt wurde. Es ist daher notwendig, dass die Kommunen funktionierende Hochwasser-Einsatzpläne erarbeiten und trainieren, die entsprechenden Maßnahmen (z.B. Straßensperrungen, Evakuierungen) in Abhängigkeit vom zu erwartenden Ereignis zeitnah einleiten zu können. Informationssysteme sollten so konzipiert werden, dass die Warnungen direkt die Bürger*innen erreichen.

Handlungsfelder:

  • Aufbau von Frühwarnsystemen, auch für kleine Einzugsgebiete
  • Erstellen von generalisierten Hochwasser-/Starkregen-Alarm- und Einsatzplänen, die von Bürger*innen leicht verstanden werden
  • Mobile Hochwasserschutzsysteme vorhalten, die schnell aufgebaut werden können
  • Schulung der Einsatzkräfte und der Bürger*innen zu Zusammenhängen zwischen extremen Niederschlägen, Abflüssen und Schäden sowie möglichen Vorsorgemaßnahmen

 

3. Bauvorsorge

Die übergeordneten Starkregen- und Hochwasserschutzmaßnahmen der öffentlichen Hand können den potenziell großen Schaden mindern, bringen allerdings nicht alleine die Lösung. Auch großzügig bemessene Hochwasserschutzanlagen kommen bei Extremereignissen an ihre Leistungsgrenze und darüber hinaus. Deshalb müssen die bestehenden Maßnahmen von einer umfassenden und angepassten Eigenvorsorge an den Gebäuden selbst flankiert werden. All dies geht nicht ohne eine Risikokommunikation mit der Bevölkerung. Der Hinweis auf individuelle Überflutungsschutzmaßnahmen und damit die Stärkung der Eigenverantwortung der Betroffenen hat gezeigt, dass Schäden durch Überflutungen wesentlich reduziert werden können. Die Aktivierung der bisher "verborgenen" Gemeinschaftsstärken ist somit ein wesentlicher Schlüsselfaktor für die Entwicklung einer resilienten Gesellschaft. Die Lösung hierfür ist der Hochwasser-Pass (https://www.hochwasser-pass.com/) mit dem maßgeschneiderte Informationen zu den Überflutungsgefahren und individuelle Empfehlungen zu möglichen Risikominderungsmaßnahmen entwickelt werden. Diese Eigenvorsorgemaßnahmen können potenzielle Schäden deutlich verringern. Objekte, die mit Eigenvorsorgemaßnahmen ausgestattet sind, können auch in der Regel besser versichert werden, denn eine Elementarschadenversicherung ist ein wichtiger Baustein der Vorsorge.

 

Handlungsfelder:

  • Öffentliche Liegenschaften besser schützen und beispielhafte Umsetzung von Hochwasser­vorsorge durch die Öffentliche Hand
  • Verpflichtende Übernahme sicherheitsrelvanter Daten in die Bauleitpläne vollziehen (BauGB §5 (4a); §9 (1) 16.a – d; §9 (6a)), inkl. der Anpassungspflicht älterer rechtskräftiger Bebauungspläne
  • Bereitschaft der Gebäudeeigentümer zur eigenverantwortlichen finanziellen Vorsorge durch Elementarschadenversicherung gegen existentielle Schadenereignisse stärken
  • Aktive Schulung und Unterweisung der am Bau beteiligten Fachkräfte zu Hochwasser angepassten Bauweisen
  • Hochwasser-Pass für die Klimaanpassung mit öffentlichen Mitteln (ähnlich wie den Energiepass für den Klimaschutz durch KfW-Förderung) fördern

 

4. Hochwasserentstehung in der Fläche denken

Hochwasserentstehungsgebiete sind Gebiete, insbesondere in den Mittelgebirgs- und Hügel­landschaften, in denen bei Starkniederschlägen oder bei Schneeschmelze in kurzer Zeit starke oberirdische Abflüsse auftreten können, die zu einer Hochwassergefahr entlang der Fließgewässer und damit zu einer erheblichen Gefahr führen können. Die Länder haben durch das Wasserhaushaltsgesetz die Möglichkeit, Hochwasserent­stehungsgebiete auszuweisen und durch Restriktionen Hochwasserschäden zu mindern. Dadurch soll verhindert werden, dass sich die Hochwassergefahr durch Abfluss fördernde Bau- oder andere Maßnahmen, die die Versickerung behindern, weiter erhöht. Die Wasserversicke­rungs- und Wasserrückhaltefähigkeit der Gebiete, in denen eine erhöhte Wahrscheinlichkeit von Starkniederschlägen gepaart ist mit einem starken Gefälle, sind von erheblicher Bedeu­tung für das Entstehen bzw. das Ausmaß von Hochwasserereignissen. Hochwasserent­stehungsgebiete zu identifizieren und auszuweisen sollte konsequent umgesetzt werden, um das natürliche Wasserversickerungs- und Wasserrückhaltevermögen des Bodens zu erhal­ten oder zu verbessern.

Handlungsfelder:

  • Hochwasserentstehungsgebiete identifizieren und ausweisen
  • Wasserversickerungs- und Wasserrückhaltefähigkeit erhöhen z. B. durch nachhaltigen Waldumbau, angepasste landwirtschaftliche Nutzung und Flächenent­siegelung
  • Ggf. Umsetzung von technischen Hochwasserrückhaltemaßnahmen, wenn der natürliche Wasserrückhalt nicht ausreichend ist

 

5. Anpassung an hydro-klimatische Extreme ganzheitlich denken

Retention in der Fläche und entlang der Gewässer erhöht den Wasserrückhalt und reduziert die Hochwasserspitzen. Das betrifft insbesondere Gewässerauen, Altarme, Polder und Feuchtgebiete, aber auch städtische Grünflächen und Dachbegrünung sowie multifunktional nutzbare Räume, wie sie bspw. in sogenannten Schwammstädten bzw. bei einer wasser­sensiblen Stadtentwicklung realisiert werden. Mehr Retentionsflächen haben insbesondere deutlich positive Effekte bei kleinen und mittleren Hochwasserereignissen. Daher sollte jegli­ches Potenzial für Polder oder andere vorrangig natürliche Rückhalteräume identifiziert und genutzt werden. Bei extremen Ereignissen, wie das im Juli 2021, haben diese Maßnahmen nur eine sehr begrenzte Wirkung, diese Tatsache müssen wir anerkennen.

Gleichzeitig hat der Rückhalt von Wasser in der Fläche weitere positive Effekte. Es können dadurch auch Dürreereignisse abgepuffert werden, die CO2 Speicherung wird erhöht, der Rückhalt von Nährstoffüberschüssen wie Nitrat und Phosphat wird vergrößert und die Gewässerqualität und Biodiversität können verbessert werden. Gewässerschutz ist Klimaschutz, ist Hochwasserschutz, ist Anpassung an Klimaveränderung. 

 

Handlungsfelder:

  • Retentionsräume schaffen, wo immer es geht
  • Natürliche Gewässer, Auen, Altarme und Feuchtgebiete sichern und wiederherstellen
  • Wassersensible Stadtentwicklung umsetzen
  • Naturbasierte Maßnahmen und synergetische Effekte transsektoral betrachten, bewerten und umsetzen

 

6. Umgang mit den bestehenden Instrumenten

Hochwasser

Es besteht bereits die Verpflichtung in für als „Risikogewässer“ deklarierte Bereiche Hochwassergefahren- und Risikokarten zu erstellen. Im HQ100-Überschwemmungsgebiet ist eine Bebauung, wenn überhaupt, nur mit Auflagen bzw. Anpassungen erlaubt. Auch im Deichhinterland ist eine hochwasserangepasste Bauweise vorgeschrieben. Jedoch ist eine konsequentere Umsetzung durch die Raum- und Bauleitplanung auf kommunaler Ebene nicht immer gegeben. Auch zeigen aktuelle Auswertungen der Versicherungswirtschaft, dass weiterhin nennenswert in Gebieten gebaut wird, die öfter als alle 100 Jahren überflutet werden. Hinzu kommt die uneinheitliche Wahl der Jährlichkeit für das Szenario HQextrem in den Bundesländern: Das HQextrem schwankt zwischen HQ200 und HQ1000. Das Beispiel der Ahr zeigt, dass es Ereignisse wie in 2021 bereits in der Vergangenheit gegeben hat (z. B. 1904). Jedoch werden die zurückliegenden und dokumentierten Ereignisse oftmals nicht berücksichtigt. Das HQ200 ist zwar halb so wahrscheinlich wie das HQ100, bringt aber nicht doppelt so hohe Hochwasserabflüsse, sondern gerade 10 % bis 20 % mehr Abfluss, so dass der Wasserstand des Gewässers sich bei HQ200 gegenüber dem HQ100 nur unwesentlich erhöht. Das führt dazu, dass Extremereignisse, wie im Juli 2021, durch die Hochwassergefahrenkarten nicht adäquat abgebildet werden und Kommunen mit unerwarteten Überflutungen umgehen müssen. Auch finden schadensbringende Überflutungen an Bächen statt, die nicht als Risikogewässer definiert sind. 

 

Handlungsfelder:

  • Bundesweite zusätzliche Darstellung der HQextrem-Überflutungsflächen mit mindestens einem HQ1000 oder dem höchsten historischen Hochwasserereignis, von dem wir wissen
  • Überflutungsgefahren für das gesamte Einzugsgebiet einheitlich darstellen
  • Ausweisung von Zonen, die besonders erosionsgefährdet sind
  • Hochwasserangepasste Raum- und Bauleitplanung auf kommunaler Ebene zeitnah und konsequent umsetzen und überwachen
  • Einführung von rechtlichen Vorschriften zum hochwasserangepassten Bauen in HQextrem-Gebieten, inkl. einer verpflichtenden Gefährdungsbeurteilung für Bauwerke in Bezug auf Klimafolgen und Extremwetterereignisse
  • Risikogebiete in der Raum- und Bauleitplanung deutlich machen und konsequente Bau­vorgaben erlassen
  • Besondere Risiken wie kritische Infrastrukturen, Risikokaskaden sowie vulnerable Bereiche und Bevölkerungsgruppen identifizieren und berücksichtigen

Starkregen

In Deutschland besteht bislang keine Verpflichtung, Starkregengefahrenkarten zu erstellen und zu veröffentlichen. Einige Kommunen tun dies erfreulicherweise schon. Jedoch gibt es in Deutschland noch zahlreiche, sowohl städtische also auch ländliche Gebiete, in den keine Informationen über die Starkregengefahr vorliegen.

Unglücklicherweise werden die Szenarien gleicher Eintrittswahrscheinlichkeit von Hoch­wasser und Starkregen in den Gefahrenkarten unterschiedlich benannt. Ein 100jährliches Ereignis heißt in den Hochwassergefahrenkarten „Mittel“ und in den Starkregengefahren­karten „Außergewöhnlich“. Hinzu kommt, dass die Starkregengefahrenkarten unterschiedlich aussehen, denn wenn eine Kommune sich die Kartenerstellung nicht vom jeweiligen Bun­desland (das Vorgaben definiert hat) fördern lässt, ist ihr die Darstellungsweise überlassen. Dass verwirrt nicht nur die Menschen, die in den Überflutungs­gebieten leben, sondern auch die Träger*innen öffentlicher Belange, die auf solchen Grund­lagen planen.

 

Handlungsfelder:

  • Starkregengefahrenkarten verpflichtend erstellen und einheitlich veröffentlichen
  • Hochwasser- und Starkregengefahrenkarten besser abstimmen und Darstellungen harmonisieren

 

Kontakt: info@hkc-online.de                                                                                                                         06.08.2021